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Monat: Mai 2018

Grand Canyon du Verdon

Grand Canyon du Verdon

Tag 7 & 8: Castellane

Ich lege zwei Pausentage ein, um mich von der ersten Woche zu erholen und eine weitere Schlechtwetterfront abzuwarten.

Castellane ist eine reizende, kleine, alte Stadt in der Nähe des berühmten „Grand Canyon du Verdon“ und ist dabei erstaunlich jung: es ist fest in der Hand sonnengebräunter, lässiger Menschen, die hier Rafting-, Canyoning- und Klettertouren anbieten, Hipsterrestaurants und Craftbeerbars betreiben.

Castellane am Verdon

Ich hingegen konzentriere mich auf schlafen, essen und schlafen.

Tag 8: Castellane – Rougon

Die letzten Nebelschwaden hängen noch über den Wäldern, als ich mich auf den Weg mache. Hoch über dem Verdon wandere ich durch Wälder und schließlich über eine feuchte Hochebene.

Wolkenfetzen hängen an den Bergen.

Nicht die Dolomiten.
Dunkle Regenwolken verfolgen mich.

Heute treffe ich zum ersten Mal zahlreiche andere Wanderer; die Nähe zur Gorge du Verdon als Touristenmagnet scheint sich bemerkbar zu machen. Für ein bisschen Smalltalk reicht dann sogar mein karges Französisch – aber auch viele Deutsche sind hier unterwegs.

In Rougon ist mein Tag früh zu Ende: direkt hinter dem Ort beginnt der Weg durch die Schlucht, die für morgen auf dem Programm steht. Ich schlage etwas Zeit tot, warte in einem Bushäuschen einen Gewitterschauer ab und beobachte die Geier, die über mir kreisen. Vor einigen Jahren wurden sie hier erfolgreich ausgewildert und bevölkern nun in einer großen Kolonie von rund 100 Tieren die Schlucht.

In der Nähe einer verfallenen Ruine schlage ich schließlich im Wald mein Lager auf. Hier spukt es doch bestimmt nachts!

Etappenlänge: ca. 18km

Wort des Tages: Vautour

Tag 9: Gorges du Verdon

Der Tag beginnt feucht und nebelig, doch ab heute soll das Wetter endlich besser werden.

Um 9 Uhr bin ich auf dem Weg; etwa 16km und rund 6 Stunden sind für die Wanderung durch die Gorges du Verdon angesetzt. Der Weg, „Sentier du Blanc-Martel“, wurde 1930 angelegt und zieht sich spektakulär auf halber Höhe zwischen Kamm und Flussbett durch die Steilhänge.

Einstieg in die Gorges du Verdon

Schon kurz nach dem Start durchquert der Weg auf über 600m Länge einen alten Tunnel, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ein damals geplantes und nie vollendetes Wasserkraftwerk angelegt wurde. Es ist stockfinster und das Wasser steht knöcheltief im Tunnel. Und ich hatte mich SO auf den ersten Tag mit trockenen Füßen gefreut!

Auf über 250 Stufen durch den Fels

Der Weg führt immer wieder steil über Felsen auf und ab. Eine echte Kletterpartie! Die Schlucht tief unter ruft meine Höhenangst auf den Plan und lässt mich unsicher werden: Schaffe ich den Weg überhaupt? Wie schwierig wird es werden? Und was soll ich tun, wenn es nicht geht? Aussteigen ist hier nicht möglich. Es ist mental fast anstrengender als körperlich.

Gewagte Wegführung

Etwas Kontakt zu meinen Mitwanderern – erneut viele Deutsche – lenkt mich ab, und später treffe ich auch zwei Damen von gestern wieder: Pascale und Jocelyn, die genau wie ich auf längerer Tour sind. Bis Manosque in etwa einer Woche haben wir den gleichen Weg.

Und auch der Weg ist weniger schwierig als zunächst befürchtet, und so kann ich die wunderbare Strecke nun genießen.

Mittagspause am Ufer des Verdon
Ein frisch Gezapftes – direkt von der Decke einer natürlichen Grotte

Um 15:30 erreiche ich das „Chalet de Maline“ – nach genau 6,5 Stunden. Ein beruhigendes Gefühl, dass ich auch mit Gepäck die Wege gut in der angegebenen Zeit schaffe. Trotz der eher kurzen Strecke war es anstrengend, gut 1000 Höhenmeter im Auf und Ab hatte der Weg. So beschließe ich den Tag hier auf der Hütte, vom französischen Alpenverein betrieben: seit Nizza die erste Nacht in einem Bett!

Zu Pascale, Jocelyn und mir gesellt sich mit Léa noch eine junge Frau, die – mit Pferd! – gerade aus der Gegenrichtung kommt. Bei deftigem Essen vergeht der Abend und das Frühstück am nächsten Morgen mit angeregtem Erfahrungsaustausch zwischen Fernwandererinnen, über Touren und Ausrüstung, der in einer Zeltvorführung auf der Terrasse gipfelt. Trailcommunity auf dem GR4!

Etappenlänge: ca. 16km

Wort des Tages: vertige

Tag 10: Chalet La Maline – Moutiers Sainte-Marie

Der Wanderweg folgt nun der Panoramastraße oberhalb der Schlucht.

Ein letzter Blick zurück auf den „Grand Canyon“

La Palad-sur-Verdon, das Dorf am anderen Ende der Schlucht, ist schon jetzt, in der Nebensaison, von Touristen überlaufen. Viel zu breite Wohnmobile werden von überforderten Fahrern durch enge Straßen manövriert. Deutsche Kennzeichen überall. Ich kaufe schnell Brot, Käse und Obst und verschwinde.

Endlich ist Sommer!

Schon fast zu warm in der Sonne im Aufstieg, doch oben auf dem Bergrücken weht ein kühler Wind und im Schatten ist es herrlich. Ich genieße das Wetter in vollen Zügen. Ein perfekter Wandertag!

Panorama

Die letzten Kilometer geht es nach einem langen Tag noch mal steil bergab, doch das Panorama entschädigt für alle Schmerzen.

Tief unten glitzert der Lac Sainte-Croix…
… in den links der Verdon einmündet.

Herrlich!

Etappenlänge: ca. 25km

Wort des Tages: plaisir

Büsche & Bäche

Büsche & Bäche

Tag 4: Le Fanguet – Valderoure

Bei einem herrlichen Sonnenaufgang genieße ich das Frühstück auf meiner Blumenwiese. Es bleibt der unangefochtene Höhepunkt des Tages.

Durch Frankreich führt ein weitläufiges Netz gut markierter und ausgeschilderter Fernwanderwege, die „Grandes Randonnées“, kurz GR, denen ich auf meiner Tour folgen will. Um ein anstrengendes Teilstück zu umgehen, habe ich mir für heute jedoch eine eigene Strecke herausgesucht.

Meine Karte ist hervorragend, doch die Pfade – oftmals wohl alte Verbindungswege zwischen den Orten, bevor die heutigen Straßen angelegt wurden – werden sichtlich wenig begangen. Viele sind zugewuchert, gar nicht mehr erkennbar oder führen über privaten Grund und sind plötzlich gesperrt. Immer wieder muss ich mich orientieren, suchen, umkehren, mich durchs Gebüsch schlagen oder, wenn sich gar kein Weg findet, an Straßen entlang laufen. Es ist anstrengend und mühselig.

Privatbesitz – kein Durchgang.

Ich komme an einem verlassen daliegenden Flugplatz vorbei, der in den 90er Jahren auf einem abgelegenen Hochplateau von enthusiastischen Hobbypiloten angelegt wurde. Eine kleine Propellermaschine knattert im Landeanflug über mich hinweg. Wenig später treffen sich auf einem einsamen südfranzösischen Flugplatz ein belgischer Pilot und eine norddeutsche Wandererin, die hier jeder für sich ihrer ganz eigenen Passion nachgehen. Was für eine unwahrscheinliche Begegnung.

Am frühen Nachmittag setzen erneut Schauer ein; es ist kalt und ungemütlich. Dann geht auch noch dem Akku unerwartet die Luft aus.

Ein lustiger Esel zur Aufmunterung. 🙂

Im nächsten Ort, Caille, erklärt sich die Verkäuferin in einem Mini-Supermarkt bereit, Handy & Akku zu laden. Ich suche derweil vor dem nächsten Schauer Schutz unter einem überdachten Lavoir, dem Waschsalon des 18. Jahrhunderts.

Typisches Lavoir in Caille.

Als ich wieder auf dem Weg bin, dämmert es schon fast. Die Wiesen im Tal, in dem ich lagern wollte, stehen knöcheltief unter Wasser, der angrenzende Wald ist ganz offensichtlich fest in der Hand der Wildschweine; die Spuren sind eindeutig. Schließlich entdecke ich eine umzäunte, aber leere Schafweide. Meine Hybris von gestern holt mich ein: wenn die Alternative „Wildschwein“ heisst, sind ein paar Schafköttel plötzlich gar nicht mehr so schlimm!

Etappenlänge: ca. 21km

Wort des Tages: le buisson

Tag 5: Valderoure – La Garde

Die Nacht bleibt ungestört, aber nicht erholsam. Bei Sonnenaufgang breche ich direkt wieder auf. So langsam spüre ich die Anstrengung der letzten Tage.

Bald folge ich einem GR, nun ist der Weg nicht mehr zu verfehlen. Auf oft breiten, zerfahrenen oder unterspülten Wegen geht es dahin; die wunderbaren Steineichen wurden schon lange von Kiefern abgelöst. Hin und wieder sieht man jetzt sogar Forstwirtschaft – im Gegensatz zu deutschen Wäldern hier eher selten.

Gut orientiert!

In der Vormittagssonne trockne ich mein feuchtes Equipment; nur die Füße bleiben nass. Nasse Wiesen und schlammige Wege fordern ihren Tribut.

Immer wieder kreuzen die Wege auch kleine oder größere Bäche. In dem üblicherweise trockenen Klima führen sie kaum Wasser, so dass sich Brücken nicht lohnen, doch mit dem vielen Regen der letzten Wochen gibt es Wasser im Überfluss. Immer wieder muss ich „furten“, mal mit einem großen Sprung oder über ein paar Steine balancierend – und heute muss ich sogar durch wadentiefes, eiskaltes Wasser waten. So hatte ich mir den Sommer in Frankreich nicht vorgestellt!

Diese Furt konnte ich noch umgehen…
… doch hier muss ich durch!
Kneipp-Kur à la française.

Zu nassen Füßen gesellt sich natürlich der allnachmittägliche Gewitterschauer. Patschnass erreiche ich den Campingplatz. Nach 3 Nächten wildcampen habe ich eine heiße Dusche und eine Waschmaschine jetzt aber auch dringend nötig!

Etappenlänge: ca. 18 km

Wort des Tages: gué (… und als solche sind die Furten sogar auf meiner Karte verzeichnet. Ach!)

Tag 6: La Garde – Castellane

Mein Weg verläuft heute parallel zur „Route Napoleon“. Heute eine beliebte Strecke für Motorrad-, Oldtimerfahrer und Ausflügler, markiert sie eigentlich den Weg, den der Kaiser mit seiner Armee bei seiner Rückkehr aus dem Exil auf Elba im Jahr 1815 nahm. In 6 Tagen marschierte er vom Mittelmeer nach Grenoble – ich habe mir dafür 4 Wochen vorgenommen. Der reinste Spaziergang!

Blühende Landschaften auf dem Weg nach Castellane.

Pünktlich zu Mittag komme ich in Castellane an – das erste Zwischenziel meiner Tour ist erreicht, die ersten 100 Kilometer geschafft!

Castellane

Ich feiere mit einem üppigen französischen Menü und Rotwein zum Mittag. Es gewittert und schüttet wie aus Eimern.

Vive la France!

Etappenlänge: ca. 9km

Wort des Tages: se reposer

Es geht los!

Es geht los!

Tag 1: Von Nizza nach Saint-Jeannet

Nachdem die Regenfront abgezogen ist, geht es am Dienstag endlich los.

Mein Startpunkt ist der Vorstadtbahnhof Saint-Laurent-du-Var, ganz in der Nähe des Flughafens von Nizza.

Bei bestem Wanderwetter – heiter bis wolkig bei knapp 20 Grad – laufe ich los. Kleinstädtische Vororte gehen in Villensiedlungen und schließlich in dörfliche Strukturen über.

Es eröffnen sich prächtige Ausblicke über das Tal der Var tief unten, Nizza am gegenüberliegenden Ufer, das Mittelmeer am Horizont.

Und auf ein Mal kann ich sogar bis zu den schneebedeckten Gipfeln der Alpen sehen!

Schon am frühen Nachmittag komme ich in Saint-Jeannet an. Für läppische 6 Euro darf ich mein Zelt auf einem „Camping a la ferme“ (etwa: Camping auf dem Bauernhof) auf einem Weingut aufschlagen.

Die Ausstattung ist etwas rustikal, doch dafür nächtige ich zwischen Olivenbäumen und Weinstöcken. Herrlich!

Einbruch der Dunkelheit. Ich liege im Zelt, in der Ferne grollt ein Gewitter. Gerade überlege ich, ob es wohl näher kommen wird, da höre ich draußen plötzlich etwas Laufen. Etwas Großes! Ich öffne das Zelt. Und befinde mich – Auge in Auge mit einem Wildschwein!

Die Sau bleibt unbeeindruckt von meinen panischen Versuchen, sie zu verscheuchen. Ungerührt stöbert sie unter den Olivenbäumen nach Leckereien. Irgendwann zieht sie schnaufend von dannen. Vorerst zumindest. Ich vermute, sie genießt hier Hausrecht – mir bleibt als Gast nichts übrig, als mich damit zu arrangieren. Etwas beunruhigt lege ich mich schlafen…

Tagesetappe: ca. 16km

Wort des Tages: le sanglier

Tag 2: Von Saint-Jeannet nach Coursegoules

Die Nacht bleibt ruhig, keine Sau interessiert sich für mich. Eine lange Etappe steht an; ich marschiere frohen Mutes los. Erneut herrscht ideales Wanderwetter.

Es geht durch Saint-Jeannet, am Fuße eines gewaltigen Kalkfelsens gelegen, das mit seinen engen Gassen wie aus einem Historienfilm entsprungen wirkt. (Tatsächlich hatte es einen Auftritt in Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“.) Während vergleichbare Orte in Deutschland sich vermutlich längst in eine Art verkitschtes Freilichtmuseum voller Touristen verwandelt hätten, wirkt das Alltagsleben hier noch sehr lebendig und im besten Sinne „normal“.

Mein Weg führt mich am Fuße der Klettergebiete des „Baou de Saint-Jeannet“ vorbei; auf schmalen Pfaden am Hang entlang. Lichte Steineichenwälder dominieren die Vegetation.

Nach gut 2,5 Stunden erreiche ich die Ruine „Le Castellet“.

Hinweise auf ihre Geschichte suche ich vergebens – touristische Inwertsetzung ist hier offenbar ein Fremdwort. Die abgeschiedene Lage scheint alle Touristen erfolgreich abzuschrecken – denke ich mir gerade, als just in dem Moment zwei Wanderer durchs Gebüsch brechen. 🙂 Es bleiben die einzigen an diesem Tag.

Der Weg führt in ein enges Flusstal hinein. Es ist feucht; der moosüberwucherte Wald wirkt mystisch-surreal.

Am frühen Nachmittag raste ich an einer verlassenen Mine. Verrostete Gleise und verschiedene zurückgelassene Geräte wirken, als sei hier noch vor wenigen Jahrzehnten Betrieb gewesen – ich frage mich, was hier gefördert wurde und wie in diesem verwilderten Tal der Abtransport von Statten ging.

Nach steilem Aufstieg erreiche ich schließlich meine „Reisehöhe“ von rund 1000m üNN – in dieser Höhenlage werde ich nun mehrere Tage unterwegs sein. Das Wetter hat sich indes verschlechtert, ich tappe durch tief hängende Wolken. Eichenwald im Nebel – eine unwirkliche, unheimliche Stimmung. Starker Regen setzt ein, ein Gewitter zieht auf. Ich kauere mich ins Unterholz. Trotz Regenkleidung bin ich in kürzester Zeit tropfnass.

Als das Gewitter nachlässt, laufe ich trotz des Regens weiter. Es ist 17:30 Uhr; noch eine Stunde bis zum Ziel – Coursegoules -, ein wenig oberhalb davon will ich biwakieren.

Kurz vor dem Ort entdecke ich auf einer Wiese am Fluss einen leer stehenden Schuppen. Planänderung! Hier bleibe ich! Was auch immer das hier sein mag – vielleicht der Grillplatz der Dorfjugend? – ich bin sicher, dass an diesem verregneten Mittwoch Abend im Mai hier niemand mehr vorbei kommen wird.

Hinein in den Schuppen, nasse Klamotten aufhängen, das Lager in einer Ecke am Boden aufschlagen, noch schnell Tee und heiße Suppe kochen und dann falle ich in einen etwas frösteligen Schlaf.

Tagesetappe: ca. 22km, ca. 1100hm Aufstieg

Wort des Tages: tout trempé

Tag 3: Von Coursegoules nach Le Fanguet

Die Nacht war kühl, ich komme nur schwer in die Gänge morgens. Für den Nachmittag sind erneut Gewitter vorhergesagt; daher plane ich nach dem langen Tag gestern heute nur eine kurze Etappe.

Im Ort kaufe ich mir Obst und Backwaren zum Frühstück – ich gewöhne mich daran, dass die kleinen Dörfer hier alle noch funktionierende Infrastruktur haben: Bäcker, Lebensmittelgeschäft und Bar / Restaurant gehören zu jedem Ort dazu. Mehr frisch kaufen, weniger Vorräte tragen – sehr gut!

An der alten Kapelle oberhalb des Dorfes, an der ich eigentlich nächtigen wollte, muss ich an Reiseberichte aus Irland denken: alles voller Schafsköttel!

Wenig später entdecke ich die Urheber der Spuren:

Und noch etwas später entdecken mich vier pflichtbewusste Herdenschutzhunde. Ich halte die kläffenden Bestien mit den Trekkingstöcken auf Abstand und weiche zurück – platsch, aufs Hinterteil! Am Boden bin ich wohl keine Gefahr mehr – sie lassen von mir ab.

Tief durchatmen. Ich versuche, die Herde weiträumig zu umgehen. Vergeblich! Wieder treiben die Hunde mich zurück. Ich klettere einen Abhang runter – da taucht urplötzlich oberhalb am Weg eine vergnügte Gruppe Wanderer in meinem Blickfeld auf.

„Attention!“ rufe ich Ihnen zu, als sie die Aufmerksamkeit der Hunde auf sich ziehen. Sie lachen: Ils ne font rien! Montez, montez!“ – „Die tun nichts, kommen Sie hier hoch!“

Die Hunde springen schwanzwedelnd um die Gruppe herum. Ich bin verblüfft. „Mais… pourquoi?!“ – „Aber… warum?!“ ist alles, was ich hervorbringe. Lachend erklärt man mir, dass ich nur mit den Hunden reden muss. Na, hoffentlich ist mein Französisch dafür gut genug!

Mein weiterer Weg führt hoch am Hang an der Baumgrenz entlang, zwischen Steineichenwäldern und steilen Geröllhängen. Dunkle Regenwolken ziehen über mich hinweg, die spektakulären Ausblicke bleiben diesig.

Der Welt fehlt es an Kontrast.

Während einer ausgedehnten Kaffeepause in Gréolières klart es auf, und ich laufe doch noch einige Kilometer weiter, einer alten Römerstraße folgend.

Mein Lager schlage ich in der Abendsonne auf einer blühenden Wiese auf. Ich bin im Paradies.

Tagesetappe: ca. 20km

Wort des Tages: tranquiller

Und sonst noch:

Unter „Wo bin ich“ könnt ihr meine Route nachverfolgen. Kilometerangaben sind nicht immer ganz exakt, aber die grobe Richtung stimmt 😉

Die nächsten Beiträge werden kürzer (versprochen!) – und ich werde auch ein paar mehr generelle Infos zu meiner Reise liefern, sobald ich nicht mehr so von meiner unmittelbaren Umgebung hingerissen bin. 🙂

Nizza

Nizza

Mein Aufenthalt in Nizza fühlt sich an wie der Besuch einer spießigen Großtante. Stilvoll und elegant herausgeputzt, erzählt sie ständig von früher; von den guten alten Zeiten, mit prächtigen Promenaden und mondänen Hotels. Dabei haben ihr trendige Hostels, gesichtslose Einkaufspassagen und dem Billigtourismus angepasste, pseudo-folkloristische Fressmeilen längst den Rang abgelaufen.

Bei allem Charme: die alte Tante Nizza ist in Wahrheit sehr, sehr langweilig. Und der Strand besteht auch nur aus Kieseln.

Einstimmung

Einstimmung

Marseille.

Spät abends komme ich mit dem Zug in Marseille an. Ein Zwischenstop auf dem Weg nach Nizza. Über 2500 Jahre Immigration haben die Stadt geprägt, ein bunter Schmelztiegel der Kulturen; Handelsstadt am Mittelmeer, urbane Metropole und sozialer Brennpunkt zugleich.

Marseille

Marseille.

Ein lauer Sommerabend am Mittelmeer. In den Seitenstraßen nahe des Bahnhofs bin ich weit und breit die einzige Frau auf den Straßen. Im Kneipenviertel fährt mit röhrenden Motoren ein Squad der Bandidos vor. Müllwagen rasen in wahnwitzigem Tempo durch die Stadt; an jeder Ecke springen hochmotiviert drei junge Männer heraus und machen sich an überquellenden Abfallcontainern zu schaffen. Nachhaltige Wirkung ist nicht auszumachen.

Auf den Straßen und Plätzen wimmelt es von Menschen. Cornern á la Marseille. Das Must-Have dazu: Cola in Dosen statt Flaschenbier vom Kiosk. Ich hole mir auch eine und staune über die Wirksamkeit gesellschaftlicher Konventionen.

Männer in Polohemden bevölkern den Yachtclub am Vieux Port, dem alten Hafen. Aufgetakelte junge Frauen mischen sich unter die Menge.

In meinen Outdoor-Klamotten fühle ich mich deplatziert und wie ein Fremdkörper in all dem quirligen Leben. Doch Andersartigkeit scheint hier nicht weiter aufzufallen.

Auf dem Platz vor der Oper spielen Jugendliche Straßenfußball.

Calanques.

Ein prognostiziertes Unwetter lässt mich den Tourstart noch drei Tage verschieben. Um der Stadt zu entfliehen, fahre ich in die Calanques. Ich habe mein Gepäck dabei und will an der Steilküste entlang zum Campingplatz im nächsten Ort laufen. 15km schätze ich mit flüchtigem Blick auf die Karte. Perfekt zum Einlaufen.

Schönstes Frühlingswetter lockt die Menschen in Scharen hinaus. Zwischen seilbehangenen Kletterern, Trailrunnern, Wanderern und Spaziergängern fühle ich mich zugehörig. Die Landschaft ist herrlich, durch lichte mediterrane Wälder öffnet sich immer wieder der Blick auf die atemberaubende Steilküste und die tief unten liegenden Felsenbuchten, die Calanques.

Calanques.

Der Weg wird steiniger, und ehe ich mich recht versehe, klettere ich auf Händen und Füßen steile, geröllige Felshänge hinauf. Urplötzlich und unerwartet hat sich der gemütliche Spaziergang in eine ernstzunehmende Bergwanderung verwandelt. Das ist deutlich anspruchsvoller als ich – zumal mit dem großen Rucksack! – geplant hatte!

Der einfache Teil des Weges.

Doch ich bin zufrieden: die Schuhe – nur leichte Wanderschuhe statt fester Stiefel – machen das Gelände problemlos mit; der Rucksack trägt sich auch in schwierigem Gelände mühelos. Andere Wanderer versichern mir, dass der weitere Weg einfacher wird, die Aussicht ist prächtig, die Sonne scheint herrlich und so spaziere ich frohen Mutes weiter.

Aussichten.

Doch einige Stunden später weicht die Zuversicht langsam milder Panik. In dem anhaltend schwierigen Gelände komme ich deutlich langsamer voran als gedacht, es ist erst die Hälfte des Weges geschafft. Es ist zwar noch früh am Tag und noch genügend Ausdauer für den Rest vorhanden, auch die Füße sind noch fit, doch die Beinmuskeln sind von der unerwarteten Kletterei deutlich erschöpft – typisch Flachländerin! Ich traue mir den weiteren, anspruchsvollen Weg nicht zu; habe Angst, dass ich irgendwann mit schweren Beinen unweigerlich stürzen würde. Auch mein Wasser wird bei dem Tempo nicht reichen.

Im Gegensatz zum Rest meiner Tour, bei dem ich übermäßig steile Passagen in den ersten Etappen bewusst vermeiden werde, habe ich diesen spontanen Ausflug eindeutig nicht gut genug geplant. Guter Rat ist teuer.

Ich spreche auf dem Weg mehrere Leute an und hole Rat ein – und treffe schließlich auf Catherine und Iris, Mutter und Tochter. Etwas mühselig erkläre ich meine Situation – auf Französisch, bien sûr! – und verstehe, dass sie in einer Herberge hier mitten im Naturpark nächtigen, nur etwa eine Stunde entfernt.

Spontan schließe mich Ihnen an; belohnt werde ich schließlich mit einer Nacht in einer rustikalen Herberge – keine Dusche, keine Verpflegung, kaltes Wasser aus der Zisterne und Strom aus der Solaranlage, doch mit der besten Aussicht, die man sich nur vorstellen kann.

Was für ein Tag!

Ausgerechnet Frankreich!

Ausgerechnet Frankreich!

„Warum denn gerade Frankreich?“

Mehr als einmal habe ich diese Frage in den letzten Wochen gehört, wenn ich von meinen Plänen für diesen Sommer berichtet habe.

Welche Pläne?

Ich habe mir vorgenommen, zwischen Mai und Juli zu Fuß vom Mittelmeer bis in die Schweiz zu wandern. 800 km liegen vor mir, von Nizza über Grenoble nach Genf, immer am Fuße der Alpen entlang.

Es geht von der Côte d’Azur mit ihren pulsierenden Städten durch die Provence; durch wilde Schluchten; an Flusstälern und Seen entlang; über den Mont Ventoux, durchs rauhe Vercors, die stille Chartreuse, ins Jura und schlussendlich an den mondänen Genfer See hinab.

Hier kannst du meinen Weg verfolgen.

Der Weg ist das Ziel

Doch so sehr ich mich auch auf die abwechslungsreiche Tour freue: am Anfang stand nicht der Wunsch, nach Frankreich zu reisen.

Meine Motivation ist der Weg selbst: ich möchte einmal eine wirklich lange Strecke zu Fuß gehen, mit dem Zelt im Rucksack, so weit die Füße tragen und die Wanderlust reicht.

Ob ich den Weg zu Ende gehe, vermag ich noch nicht zu sagen. Es wird ein Versuch. Vieles kann passieren.

Doch wie es mit dem ersten Mal so ist: es mangelt an Erfahrung.

Trotz intensiver Vorbereitung war es mir wichtig, für dieses Experiment ein Land zu wählen, dessen Sprache ich zumindest rudimentär spreche. Frankreich bietet hervorragende Infrastruktur, die Zivilisation ist nie weit entfernt und dennoch mangelt es nicht an spannender Naturlandschaft.

Das Klima ist angenehm, die Anreise unkompliziert und die Menschen freundlich.

Und schließlich: jeden Tag Baguette & Käse!

Vive la France – wohin denn sonst? 🙂