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Monat: Juni 2018

Drôme

Drôme

Tag 27: Dieulefit – Bourdeaux

Nach dem faulen Ruhetag fällt es schwer, wieder in die Gänge zu kommen. Am späten Vormittag verlasse ich Dieulefit und steige zu der idyllisch gelegenen, gut erhaltenen romanischen Kirche von Comps (Bild) hinauf.

Kurz darauf gibt es wieder einen „Szenenwechsel“: der Weg führt auf der Nordseite eines Hügels hinauf, und ich stehe zum ersten Mal auf dieser Wanderung in einem wunderschönen Buchenmischwald. Yeah!

Insgesamt bleibt es heute sehr lieblich: Laubwälder wechseln sich mit schmalen Trampelpfaden über blühenden Wiesen ab; die Sonne scheint herrlich dazu.

Ich beschließe den Tag bei einem Bier in Bourdeaux (das sich von der berühmten Weinmetropole durch ein „u“ deutlich abgrenzt) und nächtige auf einem „Camping a la ferme“: ganz allein in einem weiten Eichenhain.

Was für ein herrlicher Tag!

Etappenlänge: ca. 19km

Tag 28: Bourdeaux – Saou

Es regnet. Es regnet nachts, es regnet bis in den späten Vormittag hinein. Für Nachmittags sind schwere Gewitter vorhergesagt. Zum dritten Mal beschließe ich, einen Berg auf tieferer Route zu umgehen.

Da oben möchte ich nicht im Gewitter herum klettern.

Über Mittag klart es etwas auf und ich wandere über Felder und Wiesen nur zwei Orte weiter bis nach Saou.

Der Campingplatz liegt zwischen steil aufragenden Felswänden in einer tief eingeschnittenen Schlucht. Kaum ist das Zelt aufgestellt und die Wandererin geduscht, bricht auch schon das Unwetter los.

Mensch und Tier flüchtet sich auf die Veranda. Mit Stammgästen und Betreibern, bei gutem (!) Bier aus kleiner, lokaler Brauerei und kurzweiligen Gesprächen in vielsprachigem Kauderwelsch vergeht der Abend wie im Flug, während draußen die Welt im Gewitterregen versinkt.

Zur Begrüßung habe ich diesen flauschigen Wollpullover bekommen.

Der Abend neigt sich dem Ende entgegen. Unerwartet legen mir die Betreiber einen Schlüssel hin. Bei dem Wetter haben sie Mitleid mit mir und meinem kleinen, nassen Zelt: ich darf in einem leer stehenden Blockhaus nächtigen. Meinen Dank wischen sie fort: „.. pour la famille“ – nach dem geselligen Abend gehöre ich zur Familie. Dankbar nehme ich an.

Etappenlänge: ca. 13km

Wort des Tages: la convivialité

Tag 29: Saou – Beaufort-sur-Gervanne

Am nächsten Tag bin ich früh auf den Beinen. Noch hängt der Nebel in der Schlucht, doch bald wird es sonnig und schön.

Schon am Vormittag bin ich über den steilen Felsrücken aus der Schlucht herausgestiegen. Auf der anderen Seite bietet sich ein atemberaubend schöner Ausblick über das Tal der Drôme.

Über dem Tal der Drôme. Panorama!

Am frühen Nachmittag komme ich an einem Restaurant vorbei. Ich nehme auf der Terrasse Platz und bestelle ein Alster. Eine halbe Minute später ist die Chefin da: „Gibt’s nicht. Nur Getränke machen wir nicht. Nur Essen!“

Das ist also die französische Variante von „Auf der Terrasse nur Kännchen“… 🙂

An meinem Tagesziel in Beaufort-sur-Gervanne muss ich Proviant aufstocken – über die nächste Woche gibt es keine sichere Einkaufsgelegenheit. Das örtliche Lebensmittelgeschäft hat vor ein paar Jahren geschlossen, daraufhin hat eine Anwohnerinitiative beschlossen, dass sie die lokale Versorgung erhalten wollen und einen kleinen Bioladen mit regionalen Produkten eröffnet. Sehr sympathisch – und sehr praktisch: statt Großpackungen aus dem Supermarkt kann ich mir Müsli, Nudeln, Nüsse und Trockenfrüchte einfach nach Bedarf abfüllen. Brot, Käse, Schokolade, Kaffee, Obst und Joghurt dazu: perfekt!

Nahrhaft, lecker und sogar ein bisschen gesund.

Der heutige Campingplatz wird von einem sympathischen, älteren Hippie-Paar betrieben. Bei einsetzendem Landregen lasse ich mich mit lokalen Spezialitäten – „Ravioles“, die kleinen Schwestern der italienischen gefüllten Teigtaschen – bekochen. Draussen wird eine Sau ums Haus getrieben: anscheinend ist dem Nachbar die fröhlich grunzende Herde ausgebüxt. Erneut bietet man mir einen trockenen Schlafplatz in einem ungenutzten Wohnwagen. Heute lehne ich ab; so stark ist der Regen nicht.

Notfallquartier.

Insgeheim frage ich mich ja, ob ich mittlerweile schon so erbarmungswürdig verstruppt und ausgehungert aussehe, dass ich ständig mit Essen und Unterkünften versorgt werde 🙂

Etappenlänge: ca. 28km

Tag 30: Beaufort-sur-Gervanne – Léoncel

Ich werde von Windböen geweckt, die an meinem Zelt zerren. Es nieselt. Halsschmerzen künden eine Erkältung an.

Über 20km führt mein Weg mich heute fast 1000hm hinauf. Ich nähere mich dem Hochplateau des Vercors.

Gegen Mittag ist klar, dass der Regen nicht aufhört. Zelten ist eindeutig keine Option: Ich rufe in der Herberge an und reserviere für die Nacht ein Bett. Ich glaube, erfolgreich.

Am Nachmittag trete ich aus dem Wald heraus. Der Weg zieht sich endlos über matschige Kuhweiden, bis zu den Knöcheln stecke ich im Dreck.

Tiere im Nebel.

Der Wind hat sich zu einem veritablen Sturm ausgewachsen; teilweise komme ich kaum voran. Der Regen schlägt mir waagerecht entgegen. Ich bin seit Stunden nass und inzwischen auch bedenklich kalt. Nur weiter, weiter!

Endlich kommt die Klosterkirche von Léoncel in Sicht. Die Herberge ist gleich nebenan. Ein alter Mann steht in der Tür und empfängt mich. Erst viel später verstehe ich, dass er auch nur ein Wanderer ist.

Gite d’etape im ehemaligen Kloster Léoncel.

Trotz Dusche, Suppe und Tee werde ich nicht warm. In der Nacht setzt Fieber ein. Draussen tobt der Sturm.

Etappenlänge: 19km

Tag 31-33: Léoncel

Am Ende bleibe ich drei Tage in der Wandererherberge von Léoncel, bis das Fieber und der Sturm ausgestanden sind.

Und dann geht es endlich hinauf in den Vercors!

Côtes du Rhône

Côtes du Rhône

Tag 23: Buis-de-Baronnies – Nyons

Als ich gegen 8 Uhr in Buis-de-Baronnies aufbreche, öffnet gerade der Wochenmarkt. Früchte, Gemüse, Käselaibe, Würste, Brote, Oliven, Nougat, Gebäck, Olivenöl, ganze Schinken, Nüsse und tausend andere Leckereien, soweit das Auge reicht.

Schnell weg, bevor ich der Versuchung erliege und mir die Taschen vollstopfe!

Zum Glück mag ich gar keine Wurst. 🙂

Hinter dem Ort geht es durch Weinberge hinauf. Oben am Pass wandere ich über grüne Weiden; dicht über mir ziehen ein paar Adler vorbei.

Pass „Col de Linceuil“. Im Gegensatz zu den Vögeln nicht fotoscheu.
Wer so hübsch ist, darf auch auf meinem verschrammten Knie sitzen!

Der Weg zieht sich; Hitze und Schauer wechseln sich ab. Ganz am Ende geht es noch ein Mal über einen steilen Geröllhang hinauf, durch ein ausgewaschenes, trockenes Bachbett steil hinunter – und dann in schier endlosen Serpentinen bis tief in die Ebene hinunter, bis endlich Nyons erreicht ist. Puh!

Römische Brücke, das Wahrzeichen von Nyons.

Hier will ich eigentlich einen Tag Pause machen, doch alles ist ausgebucht oder überteuert – selbst der Campingplatz, zu dem ich noch hinaus laufe. Für 18 Euro habe ich die Wahl zwischen Schotterplatz oder Wiese mit Lärm von der Schnellstraße. Länger als eine Nacht bleibe ich hier nicht!

Etappenlänge: ca. 28km

Tag 24: Nyons – Font-de-Barral

Besser kann ein Tag nicht beginnen: freundliche holländische Camper laden mich zum Kaffee ein. Jetzt, in der Nebensaison, sind die Campingplätze fest in niederländischer Hand – das ändert sich erst, wenn Mitte Juli die großen Ferien der Franzosen beginnen.

Heute ist Markt in Nyons, hier überwiegt allerdings Kunsthandwerk und Tand. Alles ist sehr touristisch hier. Schnell weg!

Kaum habe ich meine Einkäufe erledigt und die Stadt verlassen, bricht auch schon ein Starkregenguss über mich herein. Nass bis auf die Knochen wandere ich den Nachmittag über durch die Weinberge. Der Boden ist lehmig, immer wieder stecke ich knöcheltief im Schlamm.

Dieses praktische und höchst modische Accessoire schützt zuverlässig gegen Schlamm, Steine im Schuh, wilde Schweine und überhaupt alle Gefahren. Arrrr!

Nyons bildet die Grenze zwischen den nördlich und östlich gelegenen, oft nebelig-trüben Mittelgebirgen und den sonnigen Ebenen und dem Rhône-Tal im Süden und Westen. In seinem milden Klima wird neben Oliven vor allem Wein angebaut, welcher unter der Herkunftsbezeichnung „Côtes du Rhône“ auch in deutsche Supermärkte gelangt.

Symbolbild des Tages: Wolken und Weinberge.
Abendessen mit der Ausbeute vom Markt. Fehlt nur noch der Wein!

Etappenlänge: ca. 14 km

Wort des Tages: Vignoble

Tag 25: Font-de-Barral – Dieulefit

Endlich Sonne! Ich verlasse die Ebene und wandere durch Weinberge gen Norden. Der feuchte Talboden dampft unter den Sonnenstrahlen und es ist drückend schwül.

Ungewohnte Ansichten: gen Süden erstrecken sich weite, sonnige Ebenen.
Tour d’Alençon. Verfallene Ruinen auf grünen Hügeln und jeden Tag Regen: Südfrankreich ist das bessere Schottland.

Ich habe mal wieder eine Abweichung von der geplanten Route genommen. Leider war mir vorher nicht klar, dass mich der Weg dabei über privaten Grund, eine Unzahl an Weidezäunen und „Durchgang verboten!“-Schilder führen wird. Ups!

Mein Aufenthalt hier ist vermutlich hochgradig illegal. Ich bereue nichts!

Etappenlänge: ca. 22km

Wort des Tages: „Ça tape!“ (befand ein Weinbauer am Wegesrand. In Deutschland brennt die Sonne, in Frankreich klatscht es.)

Tag 26: Dieulefit

In Dieulefit lege ich nach 1,5 Wochen endlich den dringend nötigen Pausentag ein.

Wäsche waschen, Elektronik laden, Einkaufen, im Schatten liegen und chillen bilden das übliche Programm. Ein Kilo Erdbeeren verschwindet auf mysteriöse Weise vor meinen Augen.

Eine Essenseinladung meiner Zeltnachbarn Paul und Irène und angeregte Gespräche bis spät in den Abend hinein krönen den Tag. Ich lebe offenbar mittlerweile fast ausschließlich von niederländischer Gastfreundschaft.

Kaffeekultur und lokale Töpferwaren in Dieulefit.
Les Baronnies: Rund um den Mont Ventoux

Les Baronnies: Rund um den Mont Ventoux

Tag 20: Sault – Montbrun-Les-Bains

Mit seiner Lage am Fuße des Mont Ventoux ist Sault ein Mekka für Rennradfahrer. Auf dem Zeltplatz entdecke ich aber auch ein Pärchen aus Bad Oldesloe im Camper.

Ich: Moin!

Sie: Oh. Moin. Das kennen wir! Woher?

Ich: Aus Bremen.

Sie (verwirrt): … aber doch nicht mit dem Fahrrad?!

Ich: Nein, nein. Zu Fuß.

Sie: …

Ich: … aus Nizza.

Sie (ungläubig): Waaas? Ich dachte, vielleicht hier in der Gegend, so zwanzig, dreißig Kilometer?!

Ich: Ja, schon. Jeden Tag.

(Fassungsloses Schweigen.)

Fast wäre der guten Frau das Frühstück aus dem Gesicht gefallen.

Der Weg beginnt heute leicht, es geht stetig bergab, auch die Füße sind erholt. So geht das Wandern gut voran!

Sieht hier fast aus wie zu Hause.

Tatsächlich musste ich mich in den ersten Tagen enorm daran gewöhnen, dass ich hier für alle Strecken deutlich länger brauche als ich es aus dem norddeutschen Flachland gewohnt bin – mittlerweile sind Einschätzungen und Kondition aber zum Glück deutlich besser geworden. 🙂

Schon kurz nach Mittag bin ich in Montbrun-Les-Bains. Eine heranziehende Gewitterfront lässt mich den Tag früh beenden. Dafür habe ich endlich einmal die Muße, mir noch die Stadt anzusehen und Abends eine exzellente Pizza essen zu gehen.

Montbrun-Les-Bains

Typisch provençalischer Uhrenturm („Tour d’Horloge“) mit Metallkäfig über der Glocke. Ziegel würden den Winden nicht Stand halten.

Jeder Ort braucht eine Ruine.
Hübsch hier!

Etappenlänge: ca. 14km

Tag 21: Montbrun-Les-Bains – Le-Poët-en-Percip

Gemütlich geht es weiter, erst auf Wirtschaftswegen im Wald, später über schmale Pfade.

Einer der spannendsten Aspekte bei meiner Wanderung ist, dass ich immer wieder beobachten kann, wie sich Gelände, Gestein, Wasser und Vegetation ändern; manchmal abrupt, manchmal nur graduell. Wie sie sich gegenseitig beeinflussen und natürlich auch die menschliche Nutzung der Landschaft prägen.

Hier in den „Baronnies“, wie die Gegend rund um den Mont Ventoux heisst, ist die Landschaft im Vergleich zum Lubéron wieder etwas rauhe geworden: die Berge höher, die Ebenen weniger fruchtbar. Nichts desto trotz ist die Landwirtschaft noch immer ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der spärlich besiedelten Gegend.

Eine Mondlandschaft aus riesigen „Sandhaufen“. (Sandstein , Kalkstein? Wer weiß es genauer?)
Erosion hat interessante Strukturen hinterlassen.

Ich beende den Tag in Le-Poët-en-Percip; der ungewöhbliche Name deutet aber nur auf einen Gipfel (lat.: Podium) hin, nicht auf einsame Dichter in den Bergen.

Etappenlänge: ca. 17km

Tag 22: Le-Poët-en-Percip – Buis-de-Baronnies

Weiter geht es über die Höhenzüge der Baronnies. Trotz der eher geringen Höhe von etwa 1100m erinnern mich die Viehweiden hier oben bereits ein wenig an die Almen der Alpen.

Ausnahmsweise treffe ich andere Wanderer: Urlauber aus einem nahen Dorf. Ein Stück weit gehen wir zusammen, dann mache ich mich an den langen Abstieg nach Buis-de-Baronnies, fast 800hm tiefer.

Über diese imposante Felsnadel laufen mehrere Klettersteig. Zum Glück führt mein Weg nur an ihrem Fuße entlang.

Mir ist schon von der Vorstellung schwindelig.

Während der alltägliche Gewitterschauer nieder geht, verbringe ich den Abend in Buis-de-Baronnies bei Pastis & Pizza, mische mich unter die Einheimischen, schnuppere französische Lebensart und komme erst davon, als die letzte Crème Brûlée au Citron vertilgt ist.

A votre santé!

Etappenlänge: ca. 18km

Lubéron

Lubéron

Tag 16: Manosque – Céreste

Nach dem Ruhetag verlasse ich Manosque in westlicher Richtung. In den nächsten Tagen werde ich die Höhenzüge des Lubéron durchqueren. Doch zunächst führt mein Weg mich zu einer alten Kapelle hinauf, von der aus man noch ein Mal ins Tal der Durance zurückblicken kann.

Kapelle bei Manosque.
Ist das Statik oder Gottvertrauen? 
Durch Olivenhaine geht es wieder hinab.
Ein Kanal zur Bewässerung der umliegenden Weinberge.

Meine Route verläuft oft über kleine Asphaltstraßen. Mich stört das nicht weiter – im Gegenteil, nach den Geröllhalden der letzten Tage bin ich froh, dass ich den Blick mal von den Füßen lösen und schweifen lassen kann.

Die Landschaft hat sich erneut geändert: sanfte Hügel, fruchtbare Felder und blühende Wiesen, dazwischen weit verstreut große Gehöfte.

Blühender Ginster und grüne Wiesen im Lubéron.

Den ganzen Tag über verfolgen mich Gewitterschauer, auch die Nacht über sollen sie anhalten. Wenige Kilometer hinter Céreste entdecke ich eine verlassene Gartenlaube. Die überdachte Terrasse ist ein perfektes Lager für die Nacht!

Hinter der Laube plätschert ein kleiner Bach. Ein vielstimmiges Froschkonzert begleitet mich in den Schlaf. Quaaaaak!

Etappenlänge: ca. 24km

Wort des Tages: grenouille

Tag 17: Cerestre – Valsainte

Um neugierigen Blicken zu entgehen, bin ich schon früh wieder unterwegs.

Nach wenigen Kilometern gelange ich an die Ruinen der ehemaligen Klosterkirche Prieuré Carluc.

Prieuré Carluc
Viele alte Steine.
Teile der Klosteranlage sind in den rohen Felsen gehauen.

Die Landschaft bleibt idyllisch, über Felder und Wiesen geht es auf und ab. Ich kann mich gar nicht satt sehen an den blühenden Hängen. Alles wirkt sehr ländlich hier.

Ein typischer Bewohner des Lubéron.

Auch die Dörfer haben sich verändert. Es gibt kaum noch Geschäfte; Restaurants haben geschlossen. Viele alte Häuser stehen leer und verfallen langsam.

Oppedette. Das Bistro im Ort hat schon lange geschlossen.

Ich laufe noch bis zum Campingplatz in Valsainte. Auch hier wirkt alles verlassen und baufällig. Ich bin der einzige Gast. Doch es ist sauber, der Besitzer ist freundlich und stellt extra für mich das heisse Wasser an. Und die Lage wiegt alles auf: das „heilige Tal“ ist wunderschön, still, weltabgeschiedenen.

Mein Zeltplatz im Valsainte.

Etappenlänge: ca. 19km

Wort des Tages: collines

Tag 18: Valsainte- Lagarde d’Apt

Meine Nacht in dem stillen Tal wirkt nach. Ich schlafe lange und verbringe den Vormittag tiefenentspannt bei Kaffee und Frühstück, am Bach hinter dem Zeltplatz in der Sonne sitzend.

Die friedliche, gelassene Stimmung begleitet mich noch den ganzen Tag.

Der Weg führt durch eine kleine Schlucht. Der enge Talgrund ist von Dickicht überwuchert; mehrmals muss ich mir einen Pfad durch das dichte Gestrüpp bahnen. Nächstes mal kommt eine ultraleichte Heckenschere ins Gepäck!

Eben war da noch ein Weg!

In Simian-de-la-Rotonde erwartet mich ein steiler Anstieg durch eine sehenswerte Altstadt. Plötzlich stehe ich schon oben auf dem Schloßberg. Ich entscheide mich gegen eine Besichtigung: es ist schon recht spät und ich will noch einige Kilometer laufen heute. Überhaupt habe ich während des Wanderns meist wenig Lust auf Besichtigungen – meist treibt es mich rasch weiter.

Die Geschäfte im Ort habe ich verfehlt – dann muss der nächste Einkauf bis morgen warten. Genügend Snacks habe ich noch, auch wenn Brot, Käse und Süßes aus sind.

Hinter dem Ort führt der Weg in den Wald; gegen 19 Uhr fülle ich am Rathaus von Lagarde d’Apt nochmal Wasser auf.

Seltsame Strukturen: jedes kleine Dorf in Frankreich ist eine Gemeinde mit Rathaus („Mairie“). Dieser Ort hier mitten im Wald besteht nur aus einem riesigen, alten Gutshof, einer Kirche, einem geschlossenen Gasthaus und eben dem Rathaus, welches aber zuverlässig einmal wöchentlich geöffnet hat. Für wen denn nur?

Auf einer kleinen Lichtung im Wald schlage ich schließlich mein Lager auf. In der Nähe liegt ein großes Freigehege für Rehe und Hirsche; das groteske, heisere Bellen eines Rehbocks ist heute mein Gute-Nacht-Lied.

Etappenlänge: ca. 21km

Wort des Tages: pacifique

Tag 19: Lagarde d’Apt – Sault

Meine Nacht im Wald bleibt ruhig. Auch am nächsten Tag bieten sich nur wenige Ausblicke.

Wolkenspiele beim Blick zurück auf die Felder des Lubéron.
Lavendelfelder.

Immerhin erhasche ich einen ersten Blick auf den Mont Ventoux, den „Berg der Winde“, mit 1911m die höchste Erhebung der Provence. Ausser für die namensgebenden Stürme, die oft über ihn hinweg brausen, ist er vor allem als fordernde Etappe der Tour de France berühmt-berüchtigt.

Mont Ventoux in der Ferne. Ausnahmsweise ohne Wolken am Gipfel.

Eigentlich sollte die nächste Etappe über den Mont Ventoux hinweg führen – doch ausgerechnet morgen findet dort ein Triathlon-Event statt: nach 2km Schwimmen und 80km mit dem Rad den Berg hinauf stehen noch 20km Laufen an. Mir reichen ja die 20km zu Fuß am Tag 🙂

Ich entschließe mich also, dem Trubel aus dem Weg zu gehen, die lange Etappe und den wolkenverhangenen Berg zu vermeiden und – völlig unsportlich! – einfach gemütlich um den Mont Ventoux herum zu wandern.

Überhaupt fühle ich mich heute sehr unsportlich, seltsam schlapp und schwindelig, habe Kopfschmerzen und schlechte Laune. Ich werde doch wohl nicht krank?

Doch so langsam dämmert mir: bei meinem Nachtlager im Wald habe ich natürlich weder Abendessen noch heute morgen Kaffee gekocht – und jetzt leide ich ganz offensichtlich unter eklatantem Koffeinmangel! Ohne Kaffee KANN man einfach gar nicht wandern. 🙂

Kurz vor Küchenschluss komme ich am frühen Nachmittag an einem Imbiss in Sault an (das Konzept der „durchgehend warmen Küche“ ist in Frankreich völlig unbekannt). Ein reichhaltiges Mittagessen mit eiskalter Cola bessert mein Befinden direkt und nachhaltig!

(Nicht im Bild: Kaffee und Pain au Chocolat zum Nachtisch. Nom.)

Etappenlänge: ca. 20km

Wort des Tages: coffeine

Durch die Provence

Durch die Provence

Tag 12: Moutiers Sainte-Marie – Riez

Die Tour entlang des Verdon hat mir einen prächtigen Muskelkater beschert. Mühselig schleppe ich mich die nächsten drei Tage durch die Provence.

Ein letzter Blick zurück auf den Lac Sainte-Croix. Von den Bergen im Hintergrund bin ich gestern heruntergekommen.

In Südfrankreich ist die Waldbrandgefahr allgegenwärtig. Jeden Sommer fallen große Flächen dem Feuer zum Opfer. Zu einigen Waldgebieten ist der Zutritt in den heißen, trockenen Sommermonaten deshalb komplett untersagt. Bei der ungewöhnlich feuchten Wetterlage derzeit ist das zum Glück noch kein Thema, die Spuren verheerender Waldbrände sieht man hier aber immer wieder.

Als ich aus dem Tal des Lac Sainte-Croix heraus gestiegen bin, wandelt sich plötzlich die Landschaft. Ich habe die Vorgebirgslandschaft der Prealpes d’Azur hinter mir gelassen; vor mir erstreckt sich eine fruchtbare Hochebene bis zum Horizont.

Getreide- und Lavendelfelder säumen den Weg; dazwischen steinerne Häuser mit terrakottafarbenen Dächern.

Die Provence erfüllt all ihre Klischees.

Etappenlänge: ca. 21km

Wort des Tage: la courbature

Tag 13: Riez – Greoux-Le-Bains

Die Provence ist seit Jahrtausenden besiedelt. Vor allem die Römer haben ihre Spuren hinterlassen.

Säulen eines römischen Tempels in Riez.

Zwischen den blühenden Feldern erheben sich bewaldete Höhen. Darüber hinweg ziehen sich gerölllübersäte, erosionsgeschädigte Wege, die das Vorankommen mühsam machen.

Die Provence ist sturmerprobt, der „Mistral“, ein oft tagelang anhaltender, scharfer Fallwind ist berüchtigt (und trägt seinen Teil zur Waldbrandgefahr bei). Auch heute pfeift es kräftig über die Höhen hinweg.

Die Landschaft ist dicht besiedelt, die Anwesen und Orte sind gepflegt. Alles erweckt den Eindruck, dass sich hier vor allem wohlhabende Ruheständler ihren blühenden Gärten widmen, die mit der Farbenpracht der Felder und Wiesen wetteifern.

Blühender Mohn säumt Felder und Wiesen.

In Greoux-Le-Bains, einem alten Kur- und Badeort, gibt es ein letztes Wiedersehen mit dem Verdon. Seine beeindruckende türkise Farbe hat er hier aber bereits verloren.

Verdon bei Greoux-Le-Bains.

Etappenlänge: ca. 24km

Wort des Tages: la tempête

Tag 14: Greoux-Le-Bains – Manosque

Immer wieder komme ich an Feldern vorbei, auf denen Eichen in Reih und Glied gepflanzt sind. Unter den Bäumen ist der Boden frisch gepflügt. Ich kann mir keinen Reim darauf machen; erst viel später in Manosque bringt mich eine aushängende Speisekarte auf die richtige Idee: Trüffel!

Ein Trüffelhain.

Die letzten 5 Kilometer führt der Weg über eine schmale, viel befahrene Ausfallstraße. Die Brücke von Manosque ist auf 30km die einzige Möglichkeit, die Durance zu überqueren. Auf Wanderer kann man da keine Rücksicht nehmen.

Brücke von Manosque. Hat seit ihrem Bau in den 50er Jahren auch schon bessere Zeiten gesehen.

Etappenlänge: ca. 15km

Wort des Tages: la truffiere

Tag 15: Manosque

Ich gönne mir einen wohlverdienten Ruhetag. Einkaufen, Besorgungen, Wäsche waschen, essen, schlafen.

Mein Hotel, mitten in der Altstadt, versprüht den nostalgischen Charme klassischer französischer Filme.

Ein ganzes Zimmer nur für mich 🙂
Reichlich Optionen, um dem Kaloriendefizit entgegen zu wirken.

Fazit soweit:
Mir tut alles weh – die Schultern, die Füße; ich bin von Mücken zerstochen, vom Gestrüpp zerkratzt; habe Sonnenbrand, Muskelkater und Blasen an den Füßen – aber 2 Wochen und deutlich über 200km sind geschafft! Yeah! 🙂