Vercors: Gedenken

Vercors: Gedenken

Tag 34: Léoncel – Lente

Der Vercors ist ein schwer zugänglicher Gebirgsstock, der nach allen Seiten durch steil abfallende Kalksteinwände begrenzt ist. Oben erstreckt sich über rund 30 Kilometer Länge ein Hochplateau, das ich in den nächsten Tagen durchwandern werde.

Zunächst geht es weiter hinauf. Über die Höhen braust der Wind; tief hängende Wolken wabern über die Hänge. Die Sicht beträgt oft nur wenige Meter.

Schön hier! Vermute ich zumindest.

Nur wenige Orte existieren hier oben; dafür gibt es sporadisch einfache Schutzhütten, in denen man nächtigen kann, wenn man ohne Strom, Wasser und Bett auskommt.

Schutzhütte „Ferme d’Ambel“.

Überhaupt ist Wasser ein rares Gut im Vercors: es versickert schnell in dem porösen Kalkgestein; es gibt nur wenige Quellen.

Die wenigen Quellen dienen auch als Viehtränke.

Es ist noch früh, also entscheide ich mich gegen die Schutzhütte und laufe weiter zu einer Herberge.

Der einsam gelegene Hof wirkt verlassen und der Besitzer überrumpelt, als ich unangekündigt an einem nebeligen Sonntag Abend vor der Tür stehe. Doch am Ende habe ich zum Herbergstarif eine riesige Ferienwohnung in einer ausgebauten Scheune ganz für mich alleine. Mit Fernseher und Badewanne! 😀

Etappenlänge: 21km

Tag 35: Lente – Vassieux-en-Vercors

Ein Ort in Frankreich besteht aus Kirche, Rathaus – und einem Kriegerdenkmal.

Die Liste der Gefallenen des 1. Weltkrieges ist stets lang; oft zwei oder drei junge Männer aus einer Familie, selten einmal jemand über dreißig.

Ich halte oft inne, lese die Namen, bin bedrückt über die sinnlos genommenen Leben. Und ich empfinde tiefe Dankbarkeit: vor drei oder vier Generationen standen unsere Vorfahren sich auf den Schlachtfeldern Europas gegenüber, und heute heißen die Menschen in diesem Land mich willkommen. Mir wird bewusst, was für ein kostbares Gut der Frieden in Europa ist, den wir so selbstverständlich hinnehmen – und wie hoch der Preis dafür war.

Kriegsgefallenendenkmal in Castellane.

Die Liste der Namen der Opfer des zweiten Weltkrieges ist meist kürzer – oft verstarben sie am gleichen Tag; auffallend oft sind auch die Namen von Frauen darunter; sie alle noch kaum erwachsen.

Ab 1940 war Frankreich zwiegespalten: der Norden von Deutschland besetzt; der Süden unterstand dem Vichy-Regime, das mit den Deutschen kollaborierte. Um dem Arbeitsdienst zu entgehen, flohen Hunderte junger Männer in den schwer zugänglichen Vercors. Über 4 Jahre bildete sich dort einer der wichtigsten Rückzugsorte des „Maquis“, des bewaffneten Widerstands innerhalb der Resistance, unterstützt von der einheimischen Bevölkerung.

Eines der ersten Camps war das „Ferme d’Ambel“.

In Vassieux-en-Vercors besichtige ich das „Musée de la Resistance“ und eine Gedenkstätte, die 1994 errichtet wurde, als sich das Ende des Maquis im Vercors zum 50. Mal jährte.

Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie. Den Widerstandskämpfer hatten sie Verstärkung und schwere Waffen zugesichert, doch die Unterstützung, die über eine Luftbrücke erfolgen sollte, blieb fast völlig aus. Dennoch erhoben sich im Juli 1944 fast 4000 Männer, um aus dem Vercors heraus in den offenen Kampf gegen die Wehrmacht zu treten.

„Hier beginnt das Land der Freiheit“: Mit Ausrufung der „République du Vercors“ erhoben sich die Partisanen.

Doch zu spät: mit rund 15.000 Soldaten rückten die Deutschen an, um den Partisanen in der „Festung Vercors“ ein Ende zu bereiten. Am 22. Juli 1944 ergingen die ersten Luftangriffe auf Vassieux-en-Vercors; am Ende starben über 600 Widerstandskämpfer und mehr als 200 Zivilisten. Der Maquis des Vercors war geschlagen – oder hatte er sein Ziel erreicht?

„Diese 15.000 Deutschen fehlten anderswo an der Front. So war die Festung Vercors von Anfang an gedach gewesen!“, sagten einige.

Einen Monat später befreiten die Alliierten Grenoble.

Vassieux-en-Vercors aus der Luft.

Etappenlänge: 12km


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