Es geht los!

Es geht los!

Tag 1: Von Nizza nach Saint-Jeannet

Nachdem die Regenfront abgezogen ist, geht es am Dienstag endlich los.

Mein Startpunkt ist der Vorstadtbahnhof Saint-Laurent-du-Var, ganz in der Nähe des Flughafens von Nizza.

Bei bestem Wanderwetter – heiter bis wolkig bei knapp 20 Grad – laufe ich los. Kleinstädtische Vororte gehen in Villensiedlungen und schließlich in dörfliche Strukturen über.

Es eröffnen sich prächtige Ausblicke über das Tal der Var tief unten, Nizza am gegenüberliegenden Ufer, das Mittelmeer am Horizont.

Und auf ein Mal kann ich sogar bis zu den schneebedeckten Gipfeln der Alpen sehen!

Schon am frühen Nachmittag komme ich in Saint-Jeannet an. Für läppische 6 Euro darf ich mein Zelt auf einem „Camping a la ferme“ (etwa: Camping auf dem Bauernhof) auf einem Weingut aufschlagen.

Die Ausstattung ist etwas rustikal, doch dafür nächtige ich zwischen Olivenbäumen und Weinstöcken. Herrlich!

Einbruch der Dunkelheit. Ich liege im Zelt, in der Ferne grollt ein Gewitter. Gerade überlege ich, ob es wohl näher kommen wird, da höre ich draußen plötzlich etwas Laufen. Etwas Großes! Ich öffne das Zelt. Und befinde mich – Auge in Auge mit einem Wildschwein!

Die Sau bleibt unbeeindruckt von meinen panischen Versuchen, sie zu verscheuchen. Ungerührt stöbert sie unter den Olivenbäumen nach Leckereien. Irgendwann zieht sie schnaufend von dannen. Vorerst zumindest. Ich vermute, sie genießt hier Hausrecht – mir bleibt als Gast nichts übrig, als mich damit zu arrangieren. Etwas beunruhigt lege ich mich schlafen…

Tagesetappe: ca. 16km

Wort des Tages: le sanglier

Tag 2: Von Saint-Jeannet nach Coursegoules

Die Nacht bleibt ruhig, keine Sau interessiert sich für mich. Eine lange Etappe steht an; ich marschiere frohen Mutes los. Erneut herrscht ideales Wanderwetter.

Es geht durch Saint-Jeannet, am Fuße eines gewaltigen Kalkfelsens gelegen, das mit seinen engen Gassen wie aus einem Historienfilm entsprungen wirkt. (Tatsächlich hatte es einen Auftritt in Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“.) Während vergleichbare Orte in Deutschland sich vermutlich längst in eine Art verkitschtes Freilichtmuseum voller Touristen verwandelt hätten, wirkt das Alltagsleben hier noch sehr lebendig und im besten Sinne „normal“.

Mein Weg führt mich am Fuße der Klettergebiete des „Baou de Saint-Jeannet“ vorbei; auf schmalen Pfaden am Hang entlang. Lichte Steineichenwälder dominieren die Vegetation.

Nach gut 2,5 Stunden erreiche ich die Ruine „Le Castellet“.

Hinweise auf ihre Geschichte suche ich vergebens – touristische Inwertsetzung ist hier offenbar ein Fremdwort. Die abgeschiedene Lage scheint alle Touristen erfolgreich abzuschrecken – denke ich mir gerade, als just in dem Moment zwei Wanderer durchs Gebüsch brechen. 🙂 Es bleiben die einzigen an diesem Tag.

Der Weg führt in ein enges Flusstal hinein. Es ist feucht; der moosüberwucherte Wald wirkt mystisch-surreal.

Am frühen Nachmittag raste ich an einer verlassenen Mine. Verrostete Gleise und verschiedene zurückgelassene Geräte wirken, als sei hier noch vor wenigen Jahrzehnten Betrieb gewesen – ich frage mich, was hier gefördert wurde und wie in diesem verwilderten Tal der Abtransport von Statten ging.

Nach steilem Aufstieg erreiche ich schließlich meine „Reisehöhe“ von rund 1000m üNN – in dieser Höhenlage werde ich nun mehrere Tage unterwegs sein. Das Wetter hat sich indes verschlechtert, ich tappe durch tief hängende Wolken. Eichenwald im Nebel – eine unwirkliche, unheimliche Stimmung. Starker Regen setzt ein, ein Gewitter zieht auf. Ich kauere mich ins Unterholz. Trotz Regenkleidung bin ich in kürzester Zeit tropfnass.

Als das Gewitter nachlässt, laufe ich trotz des Regens weiter. Es ist 17:30 Uhr; noch eine Stunde bis zum Ziel – Coursegoules -, ein wenig oberhalb davon will ich biwakieren.

Kurz vor dem Ort entdecke ich auf einer Wiese am Fluss einen leer stehenden Schuppen. Planänderung! Hier bleibe ich! Was auch immer das hier sein mag – vielleicht der Grillplatz der Dorfjugend? – ich bin sicher, dass an diesem verregneten Mittwoch Abend im Mai hier niemand mehr vorbei kommen wird.

Hinein in den Schuppen, nasse Klamotten aufhängen, das Lager in einer Ecke am Boden aufschlagen, noch schnell Tee und heiße Suppe kochen und dann falle ich in einen etwas frösteligen Schlaf.

Tagesetappe: ca. 22km, ca. 1100hm Aufstieg

Wort des Tages: tout trempé

Tag 3: Von Coursegoules nach Le Fanguet

Die Nacht war kühl, ich komme nur schwer in die Gänge morgens. Für den Nachmittag sind erneut Gewitter vorhergesagt; daher plane ich nach dem langen Tag gestern heute nur eine kurze Etappe.

Im Ort kaufe ich mir Obst und Backwaren zum Frühstück – ich gewöhne mich daran, dass die kleinen Dörfer hier alle noch funktionierende Infrastruktur haben: Bäcker, Lebensmittelgeschäft und Bar / Restaurant gehören zu jedem Ort dazu. Mehr frisch kaufen, weniger Vorräte tragen – sehr gut!

An der alten Kapelle oberhalb des Dorfes, an der ich eigentlich nächtigen wollte, muss ich an Reiseberichte aus Irland denken: alles voller Schafsköttel!

Wenig später entdecke ich die Urheber der Spuren:

Und noch etwas später entdecken mich vier pflichtbewusste Herdenschutzhunde. Ich halte die kläffenden Bestien mit den Trekkingstöcken auf Abstand und weiche zurück – platsch, aufs Hinterteil! Am Boden bin ich wohl keine Gefahr mehr – sie lassen von mir ab.

Tief durchatmen. Ich versuche, die Herde weiträumig zu umgehen. Vergeblich! Wieder treiben die Hunde mich zurück. Ich klettere einen Abhang runter – da taucht urplötzlich oberhalb am Weg eine vergnügte Gruppe Wanderer in meinem Blickfeld auf.

„Attention!“ rufe ich Ihnen zu, als sie die Aufmerksamkeit der Hunde auf sich ziehen. Sie lachen: Ils ne font rien! Montez, montez!“ – „Die tun nichts, kommen Sie hier hoch!“

Die Hunde springen schwanzwedelnd um die Gruppe herum. Ich bin verblüfft. „Mais… pourquoi?!“ – „Aber… warum?!“ ist alles, was ich hervorbringe. Lachend erklärt man mir, dass ich nur mit den Hunden reden muss. Na, hoffentlich ist mein Französisch dafür gut genug!

Mein weiterer Weg führt hoch am Hang an der Baumgrenz entlang, zwischen Steineichenwäldern und steilen Geröllhängen. Dunkle Regenwolken ziehen über mich hinweg, die spektakulären Ausblicke bleiben diesig.

Der Welt fehlt es an Kontrast.

Während einer ausgedehnten Kaffeepause in Gréolières klart es auf, und ich laufe doch noch einige Kilometer weiter, einer alten Römerstraße folgend.

Mein Lager schlage ich in der Abendsonne auf einer blühenden Wiese auf. Ich bin im Paradies.

Tagesetappe: ca. 20km

Wort des Tages: tranquiller

Und sonst noch:

Unter „Wo bin ich“ könnt ihr meine Route nachverfolgen. Kilometerangaben sind nicht immer ganz exakt, aber die grobe Richtung stimmt 😉

Die nächsten Beiträge werden kürzer (versprochen!) – und ich werde auch ein paar mehr generelle Infos zu meiner Reise liefern, sobald ich nicht mehr so von meiner unmittelbaren Umgebung hingerissen bin. 🙂


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